Es ist gerade richtig hell geworden an diesem Wintermorgen und ich werfe noch einen schnellen Blick auf den kleinen Bach, der sich eine Fußminute von meiner Haustür durch sein Tal schlängelt. Die Treene ist hier oben nur vier bis fünf Meter breit und mäandert unverbaut durch eine ursprüngliche Landschaft. Dann setze ich mich in mein Auto und fahre in Richtung Südwesten.
Ich wollte mir schon immer gerne einmal ansehen, wie der Laichfischfang auf Nordseeschnäpel läuft, und die Friedrichstädter Angler am Unterlauf der Treene haben mich für diesen Morgen eingeladen.
Nach wenigen Kilometern, kurz vor Janneby, fahre ich auf die kleine Straßenbrücke über die Jerrisbek zu. Dieses kleine Gewässer ist ein Nebenbach der Treene. Schon aus der Entfernung sehe ich einige Autos mit Anhängern. Ich halte an. Tatsächlich, durch einen Zufall treffe ich hier die Laichfischfänger der oberen Treenegemeinschaftsvereine. Sie haben gerade ihr Boot zu Wasser gelassen und das Elektrofischgerät klar gemacht. Nach einer Begrüßung und einem kleinen Plausch beginnen sie mit ihrer Befischung. Heute wollen sie hauptsächlich laichbereite Meerforellen fangen, die gerne bis in diese kleinsten Fließgewässer aufsteigen.
1970 gab es fast keine Bach- und Meerforellen mehr im Treenesystem. Der Lachs fehlte komplett. Durch Umwelteinflüsse funktionierten die kiesigen Laichplätze nicht mehr. Feinsedimente erstickten die im groben Kies abgelegten Eier. Teilweise wurden die Laichhabitate bei Gewässerunterhaltungsmaßnahmen auch einfach ausgebaggert.
Durch den unermüdlichen Einsatz der Angler sind diese Arten heute wieder heimisch. Jedes Jahr in der Laichzeit werden einige laichreife Salmoniden gefangen und abgestreift. Danach kommen die Fische zurück in das Gewässer und die Eier werden künstlich erbrütet.
Schon nach wenigen Sekunden fängt Hans Uecker am Kescher die erste große Bachforelle. Das Boot und der Tross der Laichfischfänger fahren langsam stromauf, und ich mache mich auf meinen Weg weiter treeneabwärts in Richtung Friedrichsstadt.
Die Sonne sucht sich eine Wolkenlücke an einem typischen Westküstenhimmel. Es ist kalt und fast windstill. Der Motor tuckert leise und schiebt das Boot über die Treene in einen toten Arm des Gewässers. Eider und Nordsee kann man fast riechen. Hier unten ist der Bach, den ich vor zwei Stunden in Richtung Südwesten verließ, schon ein richtiger Fluss.
„Bei Wind ist es hier draußen nicht so gemütlich“, berichtet Stefan Hipp. Der Gewässerwart des Friedrichstädter Angelvereins ist seit drei Jahren einer der Aktivposten des Schnäpelprojektes. Mit dem Bootshaken hebt er die Absperrleine über das Boot und wir fahren ein in das Areal, in dem die Stellnetze stehen.
Kurz danach erreichen wir das erste Netz. Vorsichtig bugsiert Frank Heithorn am Motor uns an die erste Markierungsboje heran. Stefan löst den hinteren Teil des Netzes und hievt es Meter um Meter in eine Balje, die im Bug des Bootes fixiert ist, während das Boot langsam vorwärts fährt. Kein einziger Fisch hat sich verfangen. Das Boot fährt nun rückwärts und das Netz wird sauber wieder eingebracht.
Auf dem Weg zum nächsten Netz sprechen wir über die Historie des Projektes. „Angefangen hat das Ganze 1987 mit den Urvätern Tassilo Jäger, Wilfried Tetens, Bernd Stuck und Alfred Sprengel“, berichtet der Gewässerwart. Der Nordseeschnäpel galt damals als ausgestorben. In erster Linie wegen Sauerstoffproblemen an den Laichhabitaten infolge der Eutrophierung der Gewässer entwickelte sich aus den abgelegten Eiern der anadromen Wanderfische keine Brut mehr. Nur in der dänischen Vidau gab es damals noch einen kleinen Bestand dieser schlanken, silbrigen Fische, die zu der Familie der Coregonen gehört. Damals wurde Schnäpelbesatz aus der Vidau in die Treene eingebracht und schon zwei Jahre später konnten die ersten Rückkehrer gefangen werden. Seitdem werden jedes Jahr im Dezember die Netze ausgebracht und täglich kontrolliert.
Beim zweiten Netz angekommen, beginnt die Prozedur von vorne. Die Maschen landen wieder in der Ballig – aber wo sind die Fische? Doch auf dem letzten Meter zappelt plötzlich ein ca. 45 cm großer Schnäpel im Netz. Vorsichtig zieht Stefan ihn ans Boot. Mit einem schnellen Schwung landet er an Bord und wird sofort behutsam aus den Maschen befreit. „Ein Männchen“, stellt der Fachmann fest, bevor er das Tier in den Hälterkasten setzt. Ich begutachte den Fisch. Ein schlanker Körper mit vielen silbernen Schuppen und einer sehr ausgeprägten Nase.
Im dritten und letzten Netz fangen wir nochmals drei große „Schnäpelböcke“. „Leider keine Rogner dabei“, ärgert sich Stephan, „gestern hatten wir sieben Fische. Das Ganze ist eben ein mühsames Geschäft. Im Durchschnitt fangen wir so 80 Fische in jeder Laichsaison“.
Danach fahren wir zu einem großen Hälternetzkäfig und setzen die Fische um. „Morgen kommt Tassilo und holt die Fänge der letzten Tage ab“, berichtet unser Steuermann. Der Kieler Biologe Tassilo Jaeger streift die Fische, wenn sie so weit sind, ab und erbrütet danach die Eier in speziellen, durchflossenen Zugergläsern. Ca. drei Monate später schlüpfen die Larven und werden dann in beleuchteten Netzkäfigen in den großen Seen Ostholsteins weiter vorgestreckt. Das Licht lockt Zooplankton an und somit müssen die Larven nicht extra zugefüttert werden. Die daraus resultierenden Setzlinge werden dann wieder in die Treene eingebracht. Mit dieser Methode hat Jaeger große Erfolge gehabt und mittlerweile wurde die Wiedereinbürgerung auch auf Gebiete in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ausgedehnt.
Wir stehen noch einen Moment am Hälterkäfig und die Vereinsvorsitzende Karen Le Grand und der Kreisverbandsvorsitzende Jürgen Toellner stoßen zu uns, um die Fänge des Tages zu begutachten. Wir fachsimpeln noch einen Augenblick herum über den Fluss, der uns alle verbindet, die Treene.
Dann setze ich mich ins Auto und fahre zurück in Richtung Nordost. Diesmal nehme ich den Weg über Treia und werfe noch einen Blick auf die große, lange Sohlgleite, die hier vor einigen Jahren gebaut wurde. Vorher war hier ein Sohlabsturz. Der Schnäpel kann auf seiner Wanderung jetzt passieren. Vorher schafften das nur die sehr leistungsfähigen Starkschwimmer wie Meerforelle und Lachs. Auch andere Arten, z.B. das Meerneunauge, profitieren von der Beseitigung der Querverbauung.
Auf meinen letzten Kilometern nach Hause in Richtung Oberlauf, denke ich noch einmal über den Tag nach. Es hat sich einiges verbessert an unserem Fluss. Durch Baumaßnahmen im Zuge der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie wurde das Treensystem in vielen Bereichen wieder durchgängig. Nur durch jahrzehntelanges, engagiertes Arbeiten der fünf Angelvereine an der Treene gibt es Arten wie den Schnäpel oder die Meerforelle bei uns heute noch. Das Ganze ging nur zusammen mit Fachleuten wie Tassilo Jaeger oder Ali Hahn und mit finanzieller Unterstützung aus Mitteln der Fischereiabgabe des Landes. Aber es gibt auch noch jede Menge „Baustellen“ an unserem schönen Fluss, bei deren Lösung wir Angler unverzichtbar sind. Es wird auch weiterhin nicht gehen ohne die Tage der Laichfischfänger.
Peter Heldt