Aktualisierung 16.12.2020: Die Entwässerung Richtung Elbe und damit die Verdünnung schreiten weiter voran. Der LSFV hat laufend Proben genommen und sie verlässlich untersucht. Proben wurden auch durch einen gewerblichen Anbieter genommen. Alle Umstände des Falles waren und sind den Behörden, insbesondere dem Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung und der Veterinär- und Lebensmittelaufsicht des Kreises Rendsburg-Eckernförde, bekannt. Sie haben keine Warnung ausgesprochen. Eine Gefahr für Menschen hat demnach nicht bestanden.

Der NOK ist die meist befahrene künstliche Schifffahrtsstraße der Welt. Dass es hier zu Unfällen kommen kann ist unvermeidlich. Zuletzt stießen am 7. November 2020 bei Rendsburg zwei Frachtschiffe der lettischen Reederei Rix zusammen. Eines der Schiffe schlug leck und verlor einen erheblichen Teil seiner Ladung. Insgesamt sind in Folge des Unfalls möglicherweise 1.500 bis 2.000 t Ammoniumsulfat ins Gewässer gelangt.

Das Salz, das überwiegend als Düngerzusatz verwendet wird, löst sich gut in Wasser. In Folge dessen stieg der Ammoniumgehalt im Bereich der Havarie auf Werte über 20 mg/l. Ab einer Konzentration von 0,5 mg/l gelten Fließgewässer bereits als kritisch belastet. Ammonium selbst ist für Fische weitgehend unbedenklich, aber ein Teil des Stoffes liegt auch immer in der Form von Ammoniak vor, und dieser ist bereits in viel geringeren Konzentrationen sehr giftig. Dass es im Nord-Ostsee-Kanal nicht sofort zu einem umfangreichen Fischsterben gekommen ist, verdanken wir allein der Tatsache, dass sowohl die Wassertemperatur als auch der pH-Wert zurzeit beide vergleichsweise niedrig sind, was die Ammoniakbildung hemmte.

Der Nord-Ostsee-Kanal ist ein extrem artenreiches Gewässer. 94 Fischarten (seit letzter Woche ist der Seehecht mit dabei) wurden nach Aussage unserer Biologen bisher im Gewässer nachgewiesen. Brackwasser-, Salzwasser- und Süßwasserarten leben in diesem einmaligen Lebensraum nebeneinander. Und vielleicht auch deshalb ist der Kanal eines der beliebtesten Angelgewässer Europas. Man kann am Ufer mitten im Land sitzen und fühlt sich doch manchmal wie beim Hochseeangeln. Unser LSFV ist seit vielen Jahren Pächter des Fischereirechtes. Gemeinsam mit unserem Verpächter, der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), betreiben wir großen Aufwand für die Hege des NOK. Auf beiden Seiten des Kanals, 100 Kilometer quer durch das ganze Land, kümmern wir uns um das Gewässersystem. Viele unserer Angelvereine sind der Hegegemeinschaft NOK angeschlossen.

Seit Jahren führen wir einen sehr umfangreichen Aalbesatz durch und begleiten die Maßnahme mit einem aufwendigen Monitoring. Was wird aus dem Aalbesatz? Welche Besatzform ist wann am effektivsten? Wie wandert der Aal? 90% der im NOK gefangenen Aale stammen mittlerweile aus unserem Besatz, folglich auch viele der abwandernden Laichfische. Getragen werden diese von uns durchgeführten Besatzaktionen aus Fördermitteln des Landes Schleswig-Holstein und der EU sowie von uns Anglern. Wir wollen, dass wieder mehr Laichfische aus dem Lebensraum NOK abwandern und nach ihrer langen Laichwanderung in der Karibik ablaichen können. Natürlich wollen wir auch weiterhin fangen. Aber für uns bedeutet das Innehaben des Fischereirechts eben nicht nur angeln, sondern noch viel mehr. Für uns Angler hängt viel Herzblut am Kanal. Für unsere NOK-Biologen ist das nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Wenn so ein Unglück passiert betrifft uns das sehr. Was passiert mit den Arten in diesem einmaligen Gewässer? Wie weit wandert die toxische Wolke im Kanal? Entstehen Langzeitschäden? Wie wirkt sich das auf unsere langjährigen Projekte aus? Werden langjährige Forschungsreihen abrupt beendet?

Nachdem uns erst Tage nach dem Unfall bekannt wurde, dass Ladung ins Wasser gelangte, haben wir sofort die Landesbehörden mit Personal und Material nach besten Kräften unterstützt. Zwei Fischereibiologen, der Fischereiberater und unsere FÖJ-Kraft sind seit Tagen ständig im Bereich der Unfallstelle im Einsatz. Aktuell beobachten sie in enger Zusammenarbeit mit dem LLUR durchgehend mit zahlreichen Messungen, wie sich die Düngemitteleinleitung im Kanal zwischen Kanalkilometer 55 und 70 bewegt. In unserem Labor steht das Photometer nicht mehr still. Die WSV hat versucht, mit gezielter Schleusensteuerung die Einträge in Richtung Westen zu bewegen. Gab es zuerst die Hoffnung, dass sich die Ammoniumwolke in Richtung Elbe bewegt und dabei verdünnt, sorgen nun Weststürme dafür, dass sie zurückwandert in Richtung Rade. Ein akutes Fischsterben scheint erstmal ausgeblieben zu sein. Schäden an der Fischfauna werden wohl nur bedingt direkt ersichtlich und somit schwer zu beziffern sein. Am ehesten wird man Folgen wohl an den Forellennetzkäfigen bei der Fischerei Brauer in Rade erkennen, sollte die Ammoniumwolke bis dorthin gelangen. Das alles sind  Punkte, die uns Sorgen bereiten.

Es geht uns nicht in erster Linie um Schuldzuweisungen, aber man alle Beteiligten müssen aus solchen Fällen lernen. Eine genaue Aufarbeitung wird stattfinden, um für zukünftige Fälle optimal gerüstet zu sein. Warum erhalten wir die Information über den Eintrag von Schadstoffen erst Tage später? Hat der Kapitän oder die Reederei rechtzeitig über das Auslaufen der Ladung informiert? Wie war danach das Krisenmanagement? Wer kommt für die Kosten auf, sollten sich Schäden an den Fischbeständen zeigen? Beeinträchtigt die Einleitung die Qualität der Fische als Lebensmittel?

Bezüglich letzterem haben wir sofort eine Anfrage an das zuständige Kreisveterinäramt Rendsburg-Eckernförde gestellt, aber eine verbindliche Auskunft zur Einhaltung des Grenzwertes (nach Teil 3 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe ist Ammoniumsulfat (E517) in Endlebensmitteln (außer Getränken) mit einem Höchstgehalt von 100 mg/kg zugelassen) gab es von der Behörde nicht.

Alle diese und viele weitere Fragen werden aber weiter aufzuarbeiten sein. Unser Jurist Robert Vollborn beschäftigt sich mit der Sachlage und berät das Präsidium. Hoffen wir jetzt erst einmal, dass sich die Lage zum Positiven entwickelt und möglichst wenige Umweltschäden entstehen.

Peter Heldt – Präsident LSFV