In den vergangenen Tagen hat eine Besatzaktion der Berufsfischer an der Schlei ein ungewöhnlich großes mediales Echo erfahren, und das obwohl sie schon einige Jahre zurückliegt. Wie kam es dazu?
Die in den Jahren 2015 und 2016 besetzten Tiere waren vermutlich zu einem erheblichen Teil Träger des Aalherpesvirus (Herpesvirus anguillae, HVA). Diese Tatsache an sich ist bereits lange bekannt. Nach der von Wissenschaftlern der Universität Hamburg 2015 durchgeführten Markierung der Aale mit Alizarinrot wirkte ein Teil der Tiere lethargisch, zudem verstarb ein „ungewöhnlich hoher Anteil“ der Besatzfische am folgenden Tag. Als Ursache wurde eine Infektion der Besatzlieferung mit dem HVA angenommen. Im darauffolgenden Jahr verlief die Markierung vollständig unauffällig und die Sterblichkeit der Aale war äußerst gering. Allerdings sollen auch diese Tiere erste Anzeichen einer HVA-Infektion gezeigt haben. Daraufhin beschlossen die Wissenschaftler 100 in der Schlei gefangene Aale genauer von der Tierärztlichen Hochschule in Hannover untersuchen zu lassen. Bei 68 % der Tiere konnte das Virus nachgewiesen werden. Veröffentlicht wurde die Studie 2017. Seitdem war sie für jeden Interessierten zugänglich. Das ist die Ausgangssituation.
Nun, zwei Jahre später, wurde der NABU auf diese Studie aufmerksam. Man sorge sich, dass durch von der öffentlichen Hand geförderte Besatzmaßnahmen möglicherweise gesunde Aalbestände in Kontakt mit der Krankheit geraten und „durchseucht“ werden könnten. Ob dem tatsächlich so ist, und welche Konsequenzen das hätte, entzieht sich aber offenkundig der allgemeinen Kenntnis. Zumindest sind uns hierzu bislang keine eindeutigen Studien bekannt. Auch aus der zur Schlei vorliegenden Studie geht nicht hervor, ob alle infizierten Aale aus dem Besatz stammen oder auch natürlich zugewanderte Tiere Träger des Virus waren (und sich tatsächlich an den besetzen Tieren angesteckt hatten). Vor allem aber fehlen verlässliche Informationen darüber, ob infizierte Aale geringere Chancen haben zur Reproduktion beizutragen als nicht infizierte.
Unterm Strich bleiben, wie eigentlich fast immer wenn es um den Aale geht, mehr Fragen als Antworten. Aktuell wenden sich besorgte Angler und Fischer an uns und wollen wissen ob auch von uns besetzte Aale infiziert waren, ob Besatz unter diesen Bedingungen überhaupt Sinn macht, ob die Lieferanten der Schleiaale bekannt sind oder ob der Besatz mit Glasaalen in dieser Hinsicht die bessere Alternative sein kann. Bei der Beantwortung dieser Fragen können wir nur auf eine ganze Reihe von Erfahrungen zurückgreifen, die wir im Zusammenhang mit dem Aalbesatz gesammelt haben, und daraus Empfehlungen ableiten.
Seit 2006 werden von uns jedes Jahr erhebliche Mengen an Aalen in den schleswig-holsteinischen Binnengewässern ausgesetzt. Von Beginn an markieren auch wir stets einen Teil der Tiere mit Alizarinrot, bis zu drei Tranchen pro Jahr. In all dieser Zeit haben wir keine vergleichbaren Erfahrungen wie die Kollegen der Uni Hamburg machen müssen. Die Tiere haben die Markierung stets gut überstanden und die Sterblichkeit war sehr gering. Anzeichen von Krankheiten konnten wir nicht feststellen. Bisher haben wir unsere Aale von vier verschiedenen Lieferanten erhalten, auch von dem, der seinerzeit die Schlei beliefert hat. Es wurden mehrfach Unterproben unseres Besatzes zur Untersuchung eingeschickt. Die Befunde waren unauffällig, aber absolute Sicherheiten gibt es angesichts der Besatzmengen und der Besatzpraktiken nicht.
Im Gegensatz zur Schlei werden die Auswirkungen des Besatzes in den Gewässersystemen Nord-Ostsee-Kanal und Elbe-Lübeck-Kanal von Beginn an durch ein aufwendiges, auf Dauer ausgelegtes Monitoring begleitet. Wir schauen uns also genau an, was aus unseren besetzten Aalen wird. Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass es nur aufgrund des Besatzes überhaupt noch einen nennenswerten Aalbestand gibt. Je nach Gewässer betrug 2018 der Anteil der besetzten Tiere am Gesamtbestand zwischen 76 und 100%! Der einst galoppierende Bestandsrückgang konnte durch die Besatzmaßnahmen gestoppt werden. In den letzten Jahren zeichnet sich in den meisten untersuchten Gewässern sogar endlich wieder eine Bestandszunahme ab. Im Elbe-Lübeck-Kanal hat sich die Besiedlungsdichte der Aale von 2010 bis heute mehr als verdoppelt. Wachstum und Entwicklung der besetzten Tiere sind absolut zufriedenstellend. Und auch bezüglich der Stressresistenz, die bei HVA infizierten Tieren deutlich reduziert sein soll, sind wir bislang positiv überrascht. Der vergangene Sommer, so schön wie er war, hatte sehr hohe Wassertemperaturen und niedrige Sauerstoffgehalte zur Folge. Er war eine Belastungsprobe für unsere Fischbestände. Die befürchteten Aalsterben in den besetzten Gewässern blieben aber aus.
Aufbauend auf diesen Erfahrungen sprechen wir uns nach wie vor ganz klar für eine Beibehaltung der bisherigen, stets mit den Fischereibehörden abgestimmten Besatzpraxis aus. Sie hat sich, nach allem was wir wissen, bewährt. Und was wären die Alternativen? Der Aal gehört nach Schleswig-Holstein. Er ist in all unseren Gewässern heimisch, er ist ein Teil unserer Kultur. Zweifelsfrei ist er auch eine bedrohte Fischart, mit der wir in jeder Hinsicht verantwortungsvoll umgehen müssen. Und genau darum bemühen wir uns.