Der letzte Schritt ist angesichts all der Arbeit, die ihm vorausging, etwas unspektakulär: Mit einer durchsichtigen Tüte, in der ein paar Liter Wasser und nicht mal 200 Gramm Fisch schwappen, läuft Hartwig Hahn am Bach entlang. Sein Blick scannt das Gewässer, sucht den perfekten Platz für die wertvolle Fracht in der Tüte. So wie Hartwig Hahn sind jetzt, am Ende des Frühjahres, Dutzende Freiwillige mit Polbrille und Plastiksäcken an Schleswig-Holsteins Fließgewässern unterwegs. Ihr Auftrag ist das Überleben von Lachs und Meerforelle sicherzustellen. Nach ein paar Hundert Metern ist eine passende Stelle gefunden: Kies, Wasserpflanzen und turbulente Strömung schaffen hier eine passende Kinderstube mit Nahrung und Schutz. Nach und nach entlässt der Lachsvater seine Schützlinge in die große, unbekannte Freiheit, begleitet von der Hoffnung, einige von Ihnen in ein paar Jahren wiederzusehen.

Viel Arbeit, kleine Früchte

Vorausgegangen sind Monate der Arbeit, Tausende ehrenamtlich geleisteter Arbeitsstunden und etliche Arbeitsschritte, bei denen zuerst die Elternfische und dann ihr empfindlicher Nachwuchs die volle Aufmerksamkeit aller Beteiligten forderten. Das Entlassen der Winzlinge, die gerade erst ihren Dottersack aufgebraucht haben, ist natürlich weit weniger spektakulär als der Laichfischfang im Herbst. Doch nicht nur für die Beteiligten hat der Moment seinen eigenen Zauber – besonders, wenn man sich klarmacht, welche Entwicklung das Leben der Mini-Salmoniden ab diesem Punkt nimmt. Nach einem, maximal zwei Jahren im Süßwasser verschwinden die Lachse und wandern auf der Suche nach großen Garnelen und Futterfisch bis nach Grönland durch den Atlantik. Ein bis vier Jahre später kehren sie zurück in Schleswig-Holsteins Flüsse, um sich auf größeren Kiesbänken zu vermehren – theoretisch. Das Problem: unsere Flüsse bieten kaum Laichplätze, weder für Lachs, noch für Meerforelle. Zwar wurden inzwischen im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie die meisten Gewässer wieder durchgängig gemacht, doch mangelt es an passenden Unterwasser-Strukturen. Lachse haben also freie Bahn … in einen relativ schlechten Lebensraum.

Das Kies-Problem

Die offensichtlich sichtbaren Probleme wie Querbauwerke (z.B. Wehre) sind behoben, doch die unsichtbaren, für die Vermehrung der Salmoniden wichtigen Kiesbänke wurden nicht wiederhergestellt. Die Meerforelle kann diesen Mangel in den Hauptströmen zumindest ein wenig dadurch wettmachen, dass sie die kleinen und kleinsten Nebengewässer nutzt. Dort findet sie einige wenige Kiesbänke, in die sie Laichgruben schlägt. Der Lachs braucht hingegen solche Laichplätze in den größeren Gewässern. Doch die gibt es kaum. Die wenigen halbwegs passablen Plätze im Hauptstrom werden von Lachs und Meerforelle intensiv genutzt. Eine Kiesbank kann so im Laufe der Laichzeit um einige Meter bewegt werden. Leider nehmen dabei viele der bereits abgelegten Eier Schaden. Sich ablagernder Sand sowie Feinsubstrat ersticken zudem einen Großteil der Larven in den befruchteten Eiern. In der Konsequenz gibt es nur ein sehr geringes Naturaufkommen von Meerforellen und vor allem von Lachsen aus unseren größeren Fließgewässern. Letztlich würden beide Arten ohne menschliche Hilfe wieder aussterben.

Der Kiesbank-Ersatz

Das Problem ist hausgemacht: Die negativen Folgen der Verbauung unserer Fließgewässer wurden nicht konsequent behoben. Bis dies geschieht und es wieder ausgedehnte Kiesbereiche in den Flüssen gibt, müssen wir den Wandersalmoniden also helfen. Durch das Fangen der Laichfische und die Erbrütung sowie das Aussetzen der Lachs- und Forellenbrut übernimmt der Mensch mit seinen technischen Mitteln also die Funktion einer Kiesbank. Der Landessportfischerverband ist mit der Koordination und Umsetzung der Vermehrung der Wandersalmoniden beauftragt. Zwei Fischbrutanstalten sowie unzählige Vereine sorgen landesweit für die praktische Umsetzung. Allein die Arge Stör-Bramau besetzte in der Saison 2020/21 beeindruckende 550.000 Forellen- und immerhin 9000 Lachsbrütlinge, hinzu kommen noch 6000 Meerforellen-Smolts. All diese Fische werden in der Brutanstalt in Aukrug sowie einer Aufzuchtanlage des Vereins Forelle e.V. Bad Bramstedt herangezogen. Landesweit sind es mehr als zwei Millionen Brütlinge und etwa 25.000 Smolts. Natürlich verursacht all dies jede Menge Arbeit und auch Kosten. Die Tausenden von Arbeitsstunden werden ehrenamtlich von besonders engagierten Anglern aus den Vereinen im Land erledigt. Die Besatzmengen werden über das Programm „Fischhorizonte“ festgelegt und die Mittel durch das Land zur Verfügung gestellt. Finanziert wird das Ganze aus den Einnahmen der Fischereiabgabe.

Kein Geld für den Lachs

Leider wurde und wird nur die Vermehrung der Meerforelle gefördert, der Lachs bleibt unberücksichtigt, da er in Schleswig-Holstein nach Ansicht der zuständigen Fischereibehörde nicht heimisch ist. Die Kosten für den Artenschutz beim Lachs tragen also der Landessportfischerverband und einige engagierte Vereine bisher selbst. Dies wird sich in naher Zukunft hoffentlich ändern, da ein Gutachten aus 2020 (Zahn) eindeutig zeigen konnte, dass der Lachs früher in alle größeren und mittleren Fließgewässer des Landes aufstieg. Tatsächlich schien Schleswig-Holstein geradezu ein Lachs-Land gewesen zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass diese neuesten Erkenntnisse nicht nur dazu führen, dass die Vermehrung des Lachses gefördert, sondern auch endlich die wichtigen Strukturmaßnahmen an den Fließgewässern ins Auge gefasst werden. Ohne geeignete Laichgründe blieben Lachs und auch Meerforelle für immer auf unsere Hilfe angewiesen. Es dürfte gleichsam im Interesse von Lachs, Meerforelle und den vielen Ehrenamtlern sein, wenn zumindest ein Teil der beeindruckenden Wandersalmoniden sich bei uns im Norden wieder natürlich fortpflanzen kann.