Der NABU und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern haben den Kormoran zum „Vogel des Jahres 2010“ gewählt. Die beiden Verbände wollen sich damit „offensiv für den Schutz des Kormorans einsetzen, der nach seiner Rückkehr an deutsche Seen, Flüsse und Küsten wieder zu tausenden geschossen und vertrieben werde“.
Beide Verbände vertreten die Auffassung, daß die jahrzehntelange Abwesenheit des Kormorans (Phalacrocorax carbo) aus Deutschland das Ergebnis intensiver Verfolgung durch Fischer und Angler sei und erst nach konsequentem Schutz durch die EG-Vogelschutzrichtlinie lebten in Deutschland heute wieder rund 24.000 Brutpaare, davon mehr als die Hälfte in großen Kolonien nahe der Küste. Die Rückkehr des Kormorans sei ein Erfolg für den Vogelschutz.
Bedenken wegen massiver wirtschaftlicher Schäden und der Bedrohung von Fischarten, die ihrerseits ebenfalls artenschutzrechtlich geschützt sind, werden nicht zugelassen. Kormorane seien Nahrungsopportunisten, die vor allem häufige und wirtschaftlich unbedeutende „Weißfische“ wie Rotaugen, Brassen und andere Kleinfische erbeuteten. Hingegen machten „Edelfische“ wie Felchen oder Äschen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge nur geringe Anteile ihrer Nahrung aus. Deswegen lehnen die Verbände NABU und LBV eine Regulierung der Kormoranbestände ab. Denn es gäbe Alternativen durch Schaffung von Ruhezonen, durch die die Wasservögel etwa an größere Stillgewässer und Flüsse ebenso wie die Küste gelenkt würden mit der Folge geringeren Druckes auf Fischzuchtanlagen oder Rückzugsräume seltener Fischarten.
Einzig in der abschließenden Aussage von NABU und LBV, der Umgang mit dem Kormoran sei ein Prüfstein für einen umsichtigen Artenschutz in Deutschland und Europa, stimmen wir überein.
Bislang wurde mit dem „Vogel des Jahres“ auf schützenswerte Arten aufmerksam gemacht, die über eine einjährige besondere Beachtung in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt wurden. Beim Kormoran ist das gänzlich anders. Aus verschiedenen Gründen kann die Bestimmung des Kormorans zum „Vogel des Jahres 2010″ nur als populistische Maßnahme, eine gewollte Provokation angesehen werden.
Am 4. Dezember 2008 haben mehr als 96 % aller Abgeordneten des Europäischen Parlamentes aus allen 27 Mitgliedsstaaten dafür gestimmt, wegen der extremen Populationszunahme des Kormorans in den letzten 20 Jahren ein europäisches Kormoranmanagement zu prüfen. NABU und LBV lehnen das ab.
Sie deshalb als undemokratisch zu bezeichnen, geht klar zu weit, denn sie bewegen sich innerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit. Eine entsprechende Pressemitteilung von VDSF und DAV ist suboptimal formuliert. Daß aber dadurch ein „Dialog mit anderen Naturschützern (…) nahezu unmöglich gemacht“ wird, wie von Dritten vertreten wird, halte ich ebenso für unzutreffend. Denn tatsächlich fand ein solcher Dialog bisher nicht statt und er ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten, jedenfalls nicht sachlich und damit fruchtbar.
Vielmehr ist es zutreffend, diese Vogelschützer „ideologisiert“ zu nennen, denn sie vertreten nur eine Sichtweise, lassen keine weitere zu und bezeichnen andere Auffassungen und selbst Fakten unter Hinweis auf „wissenschaftliche Untersuchungen“ schlicht als falsch. Daß sie selbst falsch liegen könnten ist in diesem Weltbild nicht vorgesehen.
- Kormorane sind Nahrungsopportunisten, aber daraus folgt leider nicht ein nur geringer Anteil an „Edelfischen“. Die TU München hat den aus dem Kormoranfraß resultierenden Schaden bei Äschen mit 96 % sicher wissenschaftlich bestimmt. Mehr als 90 % aller typischen Fließgewässerfischarten stehen auf der Roten Liste. Auch der Aal wird gerne gefressen. Selbst wenn Aale nur 4% der Gesamtfraßmenge ausmachten, wäre dies aufgrund der hohen Individuendichte der Kormorane, des langsamen Wachstums der Aale und ihrer leicht zu schluckenden Körperform ein bedeutender Eingriff. Karpfen hingegen sind bereits nach etwa drei Jahren dem Kormoranschnabel entwachsen. Und genau dieser Europäische Aal ist Gegenstand einer bisher einmaligen europäischen Artenschutzmaßnahme. Wegen seiner Bestandsgefährdung finanziert die EU erstmals anteilig Besatzkosten. Schleswig-Holstein profitiert davon besonders, da die Elbe und ihre Nebengewässer, damit auch Nord-Ostsee-Kanal und Elbe-Lübeck-Kanal, mit Aalen besetzt werden. Das Projekt hat einen finanziellen Umfang von 536.410.- Euro für die Jahre 2009 bis 2013. Die dort fischenden Angler beteiligen sich zu 30% an den Kosten dieser Maßnahme, die Anglerschaft insgesamt mit weiteren 35%, die EU trägt ebenfalls 35%. Von Vogelschützern ist bislang kein solcher Einsatz bekannt geworden und mit noch keinem einzigen Wort haben die Vogelschützer hier konstruktiv einen möglichen Konflikt zwischen verschiedenen Artenschutzvorhaben thematisiert.
- Eine gezielte Konzentration von Kormoranen an „größeren Stillgewässern und Flüssen“ hat nicht die Folge geringeren Druckes auf Rückzugsräume seltener Fischarten, denn gerade dort halten sie sich auf.
- Höchst unterschiedliche Angaben zu den Fraßmengen, jeweils „belegt“ durch „wissenschaftliche Untersuchungen“ sind Bestandteil der unsachlichen Auseinandersetzung. Wenn die Fraßmenge tatsächlich bei nur 400 Gramm läge, dann besteht Erklärungsbedarf, warum Kormorane beim Fressen dreipfündiger Hechte beobachtet werden konnten oder warum bei der Magenanalyse eines Kormorans am Großen Eutiner See ein Zander von 42 Zentimeter Länge und einem Gewicht von 810 Gramm sowie ein Barsch von 350 Gramm gefunden wurden.
- Unsachlich ist es darüber hinaus, bei der Angabe von Fraßmengen nicht gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß nicht jede Jagd erfolgreich ist und daß Fische, die durch die Schnabelspitzen der Kormorane verletzt wurden, durch Verpilzungen oder Parasitenbefall eingehen und damit die Menge an Fischverlusten noch erhöht. Dieser Bißreflex trifft sogar Fische, die größenbedingt gar nicht aufgenommen werden könnten.
Die Aussage, daß bei einigen Menschen der Verstand aussetzt, wenn es um die schwarzen Vögel geht, trifft vermutlich zu, weil nach dem Willen bestimmter Umweltschutzgruppen ein unnatürlich hoher Kormoranbestand als Symbol einer ideologisierten Umweltpolitik aufrecht erhalten werden soll. Denn welcher sachliche Grund könnte bestehen, daß anerkannte Umweltverbände den Schutz des Kormorans wie ein Dogma zu einem der höchsten umweltpolitischen Ziele erheben, obwohl gleichzeitig Fischarten dem Kormoran-Druck nicht mehr standhalten. Warum ist der geschützte Kormoran „wertvoller“ als der nach der FFH-Richtlinie geschützte Nordseeschnäpel. Wollen wir hier eine Wertigkeit aufbauen? Das kann nicht ernsthaft gewünscht sein.
Abgesehen davon: auch die Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter ist nach Bundes- und Landesnaturschutzrecht ein Ziel des Naturschutzes! Die angebliche „Feststellung“, eine Art würde keine andere Art ausrotten können, trifft daher nicht das Problem. Die Natur soll nicht nur ihrer selbst willen existieren. In ihr soll – abgesehen von Schutzgebieten, in denen die dortigen Schutzgüter Vorrang genießen – auch ein vom Menschen nutzbarer Überschuß erwachsen. Jeder Fisch kann nur einmal gefressen/gegessen werden. Es ist richtig, die Betrachtung des Kormoran-Problems ganzheitlich statt einseitig vorzunehmen.
Nur die Anglerinnen und Angler setzen sich für den Schutz von Fischarten ein. Das ist bei weitem nicht so öffentlichkeitswirksam, wie Schutz für Robben, Otter oder Eisvögel zu fordern. Eines Schutzes bedürfen die Fische jedoch trotzdem und sie erhalten ihn von uns mit einem enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand – auch weiterhin.
Robert Vollborn LL.M.